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"Wie die Orgeln pfeifen" oder: "Bei euch piept's wohl"

  • Autorenbild: Conny Heinz
    Conny Heinz
  • 23. Aug.
  • 3 Min. Lesezeit

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"Was soll ich mit der Schraube?", etwas irritiert sah die Märchenerzählerin in ihre Handfläche, in der ihr soeben ein ihr unbekannter Gegenstand gedrückt wurde. "Das ist ein 'Bird-Call'", erwiderte die Kantorin. Laut Hersteller ist ein 'Bird-Call' ein "Vogelgeräuschegerät", welches durch "das Drehen des Herzzylinders gegen den gegossenen Zinksteckers" verschiedene Vogelgeräusche imitieren kann. "Diese realistische Version von Vogelgeräuschen schafft ein Zufluchtsort für die besuchenden Vögel, so dass sie Kontakte knüpfte und Vogelbeobachter die Gelegenheit ergreifen kann."

Hoffen wir mal, dass diese Kirche gleich auch ein "Zufluchtsort für besuchende Vögel" wird, denn schon in einigen Minuten beginnt das besondere Kirchenkonzert. "Der König der Vögel - Der Zaunkönig, aus der Sammlung der Brüder Grimm, ein Orgelkonzert für Kinder und Erwachsene" mit der Märchenerzählerin von Operation Grimm.

Nie zuvor war die Märchenerzählerin in der Stadtkirche Zierenberg gewesen und so staunte sie nicht schlecht, über die Ansicht im Inneren des Kirchenschiffs: Die strahlend weißen Wände, die gemauerten Bögen, die sie wie kleine Kuppeln erstreckte und die einzigartigen Zeichnungen an den Wänden. Das Herzstück der Kirche war die große imposante Orgel, um die sich gleich alles drehen sollte. Das Besondre heute war, dass sie nicht die einzige Orgel in der Kirche war. Für das Konzert wurden am Altar zwei weitere, sehr viel kleinere Orgeln aus Holz aufgebaut, versehen mit einem Standmikrofon.

Wie geprobt "versteckte" sich die Märchenerzählerin mit dem Bird-Call in der Hand auf einer Kirchenbank oben auf der Empore in der Nähe der Orgel. Von dort aus konnte sie niemand sehen, allerdings konnte sie wiederum auch niemanden sehen und so konnte sie nur anhand der Lautstärke schätzen, wie viele Zuhörer und Zuhörerinnen sich mittlerweile in der Kirche befanden. Als die Kirchenglocke erklang, wussten alle (die drei Orgelisten und die Märchenerzählerin): Alle Vögel sind schon da, es kann losgehen. Alle vier waren unterschiedlich im Kirchenschiff verteilt und drehte abwechselnd an ihrem Bird-Call. Durch die wunderbare Akustik , die eine Kirche mit sich bringt, klang es tatsächlich nach echtem Vogelgezwitscher und das Publikum lauschte gespannt. Die Kantorin sprach im Einstieg über "die Königin der Tasteninstrumente", diesen Beinamen erhielt sie aufgrund "ihres prächtigen Äußeren und ihres gewaltigen vielfältigen Klangspektrums als das größte, tiefste, höchste, lauteste und leiseste aller Instrumente gilt."

"Donnerwetter", dachte die Märchenerzählerin, "da habe ich noch vor meinem eigentlichen Auftritt schon so viel gelernt über Vogelgeräuschgeräte und Kirchenorgeln". Und dann ging es für die Märchenerzählerin los und die ging die schmalen Holzstufen leise runter von der Empore. Dies verlief nicht ganz so leise, wie geplant. Das alte Holz knarrte und die einzelnen Stufen waren einfach nicht für Schuhgröße 42 vorgesehen. Am Fuße der Treppe angekommen, konnte die Märchenerzählerin erst erkennen, wie viele Menschen sich mittlerweile in der Kirche befanden: Viele. So gut wie jede Kirchenbank war belegt, die jüngsten Zuhörerinnen und Zuhörer saßen noch vor der ersten Reihe auf Kissen auf dem Fußboden. Full house, wie schön. Die Märchenerzählerin setzte sich auf ihren Erzählstuhl und begann zu lesen: "Es war einmal..." Nach jedem Absatz setzte das Orgelspiel ein, entweder von der großen Kirchenorgel aus oder von einen der beiden kleineren Holzorgeln gegenüber vor dem Altar. Besonders schön war es, wenn die Orgeln direkt im Wechsel gespielt wurden, dann klang es so, als würden sie miteinander sich im Gleichklang unterhalten. Hier und da hatten manche im Publikum die Augen geschlossen, wohl aber nicht weil das Konzert so ermüdet war. Es war vielmehr eine kurzes Abtauchen aus dem Alltag, selbst die Kinder folgten trotz langem Stillsitzen noch aufmerksam der Musik und der Geschichte.

"Doch im Gefieder des Adlers saß der Zaunkönig." Eine Stunde gefüllt mit klassischer Musik, Orgelspiel und grimmscher Lesung. Neben der musikalischen Atmosphäre blieb vor allem die Moral der Erzählung im Gedächtnis: Sei klug, dann kommst du hoch hinaus.

Zuhause in ihrer Lesestube dachte die Märchenerzählerin über Tag nach und lächelte zufrieden. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann liest sie noch heute.


 
 
 

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